Wir sitzen in einem Flugzeug der peruanischen Airline TACA (Airbus, also alles im Gruenenbereich :-) Sogar Snacks und Getraenke gibts beim Inlandsflug) und zur linken erstreckt sich majestaetisch die Cordillera Blanca, die wohl schoenste Bergkette der Welt. Mit diesem recht guenstigen Ausweichen auf den Luftweg ueberspringen wir gleich einmal die noerdliche Haelfte Perus und begeben uns von Piura (dem unspektakulaeren Ankunftsort unserer gluecklicherweise unspektakulaeren Nachtbusfahrt aus dem unspektakulaeren sued-ecuadorianischen Loja) direkt nach Lima, ins Herz des Landes, das direkt an der peruanischen Kueste schlaegt. Und dieses Herz mit seinen mindestens 7 Mio. Einwohnern (und taeglich wird es mehr), mit seinen Hoch- und Tiefpunkten, seinem pulsierenden, teils doch arg stockenden Takt und seinen Gebrechen lernen wir in den naechsten Tagen von vielen Seiten kennen. Der Lonely Planet laesst uns verweichlichte Ecuador-Reisende schon vorab vor Angst vor dem Bevorstehenden leise wimmern - bestimmt werden wir direkt von einem skrupellosen Fake-Taxifahrer in eines der etlichen Slums verschleppt und finden uns am naechsten Morgen in der Gosse wieder, ohne Gepaeck und ohne Schuhe. Die Fahrt von Callao im Norden nach Miraflores im Sueden (rund 20km) verlaeuft dank eines hochprofessionellen Taxifahrers, der uns an der Strassenkreuzung noch eine erste Inca Kola vom Strassenhaendler spendiert ("interessanter" Geschmack), jedoch friedvoll und zielfuehrend und kommte einer kleinen Stadtrundfahrt gleich.

In Miraflores residieren wir Seite an Seite mit einer Riesenmenge Gringos am Parque Kennedy, der Freitagsabends, wie wir zufaellig herausfinden, doch tatsaechlich von einer grossen Zahl von Einheimischen frequentiert wird, die hier in einem kleinen Amphietheater zusammenfinden, von Gitarren begleitet im Chor und einzeln singen und tanzen.

Lima ist eine fruehe Gruendung des paradoxerweise noch vielerorts verehrten spanischen Schlaechters Francisco Pizarro, einer seiner morbiden Angewohnheiten folgendend auf den handgemachten Ruinen alter, praekolumbianischer Staedte und Staetten errichtet. Seither scheint Lima unaufhoerlich und grenzenlos gewachsen zu sein und weiterzuwachsen. Das fuehrt unter anderem dazu, dass es hier unwahrscheinliche Distanzen zu ueberwinden gilt. Dies kann man beispielsweise mit einem der unzaehlbar vielen Microbusse tun - vielleicht nicht die Expressvariante, dafuer aber die "volksnaheste" und mit 1,20 Soles (ca 30€ct) unvergleichlich billig. Dafuer bekommt man eine Fahrt vom modernen Hochhaus- und Neubaubestandenen Miraflores ins Zentrum (das an Paris oder London erinnert), die je nach Verkehr 0,5h oder auch 1,5h dauern kann. Dabei ist jeder Bus ein eigenes kleines Unternehmen mit einem Fahrer und einem Schreier/Fahrkartenverkaeufer, die sich wie verhungernde Geier auf am Strassenrand stehende Menschen stuerzen, die auch nur annaehernd den Anschein machen, dass sie an einer Mitfahrt interessiert sein koennten. Der Verkehr fliesst oder steht hier teilweise auf fuenfspurigen Kreisverkehren (wobei Spuren nur imaginaer existieren), sich innerstaedtisch auf zig Kilometern staut und des oeftern auch von wild pfeifenden Polizisten "geregelt" wird. Und wenn gar nichts mehr geht, dann hat man ja immer noch die Hupe. Deren Gebrauch in den langen, unbeweglichen Blechschlangen hat fast schon etwas Aberglaeubisches oder Beschwoererisches an sich.

Neben diesem Eintauchen in das taegliche Leben der Limeños waehlen wir auch ein paar Touri-Programmpunkte. Mit dem Mirábus (klassischer roter Doppeldecker) schweben wir ein paar Meter ueber dem wilden Verkehrstreiben durch die Stadt, die Klippen und die Kueste entlang (Lima liegt einige zig Meter ueber dem Meer, dort faellt eine steile Kuestenlinie ab), wo die Sicht aufgrund der typischen Dunstglocke aber nur an einem Tag wirklich etwas hergibt, und besuchen zu guter Letzt das Museo Larco, das mit einer schier unerschoepflichen Sammlung der Kunstgueter praekolumbischer Kulturen aufwartet. Vieles, was hier steht, wurde vor 2.000 Jahren und mehr geschaffen und koennte auch jetzt auf einem Handwerksmarkt als Neuware stehen. Ein bizarres Detail der Sammlung stellt der Sala Erotica dar.

Nachdem wir in der Innenstadt erst das Haus der peruanischen Literatur besucht haben, wohnen wir vor dem Kongressgebaeude unverhoffterweise einer Festivitaet zu Ehren Simon Bolivars bei. Rund 30 Soldaten, eine Marschkapelle und eine Delegation des Kongresses Ehren den Suedamerikanischen Freiheitshelden, dem wohnen rund 20 Zaungaeste bei, mittendrin: wir. Direkt daneben findet sich das Museum der heiligen Inquisition und des Kongresses (frueher scheinbar eine feste Einheit...) in der schoen illustriert wird, welche Mittel der Wahrheitsfindung und koerperlichen Bestrafung die katholische Kirche bis Anfang des 19. Jahrhundert an tausenden Hexen und Ketzern erprobt hat, um den christlichen Glauben und in der Welt und dessen Reinheit zu staerken.

Nur wenige Blocks weiter findet sich das Monestario San Francisco das mit seiner Pracht aus Ebenholzschnitzereien, Gold, Porzellan und Gemaelden von P-P Rubens und seinen riesigen Katakomben teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist. Soviel Kultur lassen wir bei einem Pisco Sour im Granhotel Bolivar ausklingen. Der Lonely Planet nennt es ein "etwas in die Jahre gekommenes" Edelhotel - wir wahr.
Nach diesem Touriprogramm steht am naechsten Tag ein anderes Lima auf dem Programm. 3 deutsche Hostalmitbewohner gaben uns den Tipp Alois, einen, vor ca 20 Jahren ausgewanderten, studierten Landwirt anzurufen und mit ihm eine alternative Stadtfuehrung durch Lima zu machen, die er individuell auf die Interessen der Teilnehmer abstimmt. Klingt gut finden wir und treffen uns am Sonntag um 12 Uhr Mittags beim Bioferrio, einem Biomarkt mit wunderschonen kleinen Staenden, die Kaffee, Spielzeug und kleine Koestlichkeiten, wie zum Beispiel selbst gebackenes Koernerbrot, gefuellte Zucchni oder Quiche verkaufen. Nachdem wir uns die ein oder andere davon gegoennt haben, brechen wir in einem fuer die gsammte Tour gemieteten Taxi mit dessen Fahrer, Alois, seiner neuen Hilfskraft (Jonas) und uns beiden Richtung Psychiatrie auf. Wir duerfen ohne Nachfragen passieren; man kennt Alois hier und treffen einige der Bewohner dieser Einrichtung. Waehrend unseres Besuches erzaehlt uns Alois, dass er ueber Jahre dafuer gearbeitet hat, dass die "Kranken" nicht mehr fixiert werden und ihre Wohnstatten verlassen und in den Garten duerfen, den er eigens dafuer und mit ihnen angelegt hat. So entstehen alle seine Kontakte in Lima, denn Alois kaempft gegen die Erosionsprobleme mit denen Lima schon jetzt und ueber kurz oder lang noch starker zu kaempfen haben wird, indem er an die sandigen Abhaenge und auf das Land auf dem nichts gedeiht ein indisches Gras pflanzt, dass sehr widerstandsfahig ist, schnell waechst und den Boden befestigt. Da sich diese problematiken vorallem in den Vierteln zeigen in denen die Menschen finanziell nicht so gut bestellt sind, lernt er eher die Kranken und Armen kennen. Wir besuchen im Anschluss zum Beispiel eine Gruppe Peruaner, die vor einigen Jahren aus dem Amazonasgebiet bei Pucallpa nach lIma auf eine ehemalige Muellkippe (genau gegenueber des Regierungsgebaeudes) gezogen sind; einen Stadtteil in den wir uns ohne Alois niemals gewagt haetten und dem auch der Taxista aeussert kritisch gegenueber steht. Aber als wir erstmal da sind und in einer kleinen Huette sitzten und mit den Bewohnern plaudern kommt einem diese Gegend werder sehr gefaehrlich, noch voellig arm vor. Die Menschen haben zwar nicht viel Platz oder Besitz, aber sie scheinen nicht unzufrieden oder wutend auf die Gringos zu sein, die mal vorbei kommen um sich anzusehen wie sie wohnen. Im Gegenteil: Sie erzaehlen uns von ihrem Job, ihrer Kunst, ihrer Musik und ihrer aktuellen Lebenssituation. Von diesem Barrio im Zentrum Limas verschlaegt es und in die Aussenbereiche der stetig wachsenden Stadt. Hier sind die Grundverhaeltnisse noch zu klaeren und dabei kann es schonmal zu Toten kommen, wenn einer versucht dem anderen das Land weg zu nehmen, da wir aber daran kein Interesse haben besteht fuer uns keine Gefahr versichert uns Alois. Hier draussen ist nichts als Sand und Huegel und kleine Holzbaracken, in denen die Menschen wohnen bis ihnen ihr Grundstueck zugesprochen wird und sie dann ein festes Haus errichten koennen, und dieses Bild zieht sich ueber Kilometer und Kilometer....die wir allerdings nach einiger Betrachtung wieder zurueck fahren und den Abend in den touristischen Auffangbecken Barrancos ausklingen lassen. Hier fuehlen wir uns ohne Alois dann doch sicherer.